Donnerstag, 3. November 2011

Statement zu geschlossenen Gesellschaften

Am 24.10.2011 wohnte ich einer Veranstaltung des Leipziger StudentenKreises bei. Im Laufe der letzten Woche entschloss sich die Leitung des StudentenKreises dazu, ihre Diskussionsseminare unter dem Titel „What about Economics?“ ausschließlich für Studenten (sic!) anzubieten und Personen eines anderen Status' (Professor(inn)en, Postdocs, Promovierende usw.) davon auszuschließen. Begründet wurde dies damit, dass die Studenten sonst nicht zu Wort kommen würden.

Zum Vorgang selbst habe ich mich auf der entsprechenden Webseite des StudentenKreises geäußert. Die Leitung des StudentenKreise reagierte auf die dort geäußerten Kommentare am 30.10.2011. Weil ich den Vorgang ziemlich brisant empfinde, möchte ich hier auf meinem Blog noch einmal dazu Stellung nehmen.

Dass ich die Begründung, die die Leitung der Diskussionsseminare anführte, für befremdlich halte, habe ich an anderer Stelle dargelegt. Allerdings möchte ich nachschieben, dass mir in dieser Begründung insofern die Selbstkritik fehlt, als die Moderation/ Leitung in der Veranstaltung vom 24.10.2011 auch direkt Fragen an Promovierende/ Postdocs richtete (Rolle des Gleichgewichtsdenkens). Aber gut, geschenkt.

Als fraglicher empfinde ich, was sich die Leitung der Diskussionsseminare offenbar unter Pluralismus vorstellt: Als ob sich Pluralismus einfach durch die Auswahl der Referent(inn)en einstellt. Ich schreibe das bewusst schon deshalb, weil ich mich seit längerer Zeit mit dem Paderborner Erwägungskonzept auseinandersetze, bei dem es u. a. darum geht, eine Vielfalt zu ermöglichen, aus der dann die eigene Position erwogen werden kann. An der Wirtschaftswissensschaftlichen Fakultät wird das schon seit Jahren in den Erwägungsseminaren praktiziert (www.forschungsseminar.de).

Wie allein nur ein Referend dafür sorgen soll, den „Raum zu schaffen, der es Studenten [sic!] ermöglicht, weitsichtiger und schärfer auf unsere [sic!] Disziplin zu schauen“ (so der Selbstanspruch des StudentenKreises), das bleibt für mich weiterhin fraglich.

Kurz: Der Pluralismus ermöglicht Kritik und gehört deshalb zu einer Wissenschaft, die nicht im Dogmatismus versinken soll. Entsprechend gehört für mich der Pluralismus auch in die wissenschaftlichen Diskurse - und zwar ganz gleich, von wem initiiert.

Offenbar wird seitens der Leitung des StudentenKreises die Bedeutung von Kritik und Pluralismus aber nicht so recht verstanden, sondern beide Begriffe scheinen in ganz fragwürdiger Weise mit „einem Feldzug gegen die Mainstream-Ökonomik“ gleichgesetzt zu werden.

Dabei frage ich mich natürlich, ob sich die entsprechenden Personen überhaupt darüber im Klaren sind, was „Mainstream“ bedeutet und wie ihr Kurzschluss, das Eintreten für Pluralismus in der Ökonomik zum „Feldzug“ zu brandmarken, in dem Zusammenhang wirkt. Offenbar scheint sich die Leitung des StudentenKreises gar nicht bewusst zu sein, dass sie allein schon durch ihre Frage „Was ist Ziel und Zweck der Volkswirtschaftslehre als Wissenschaft?“ in genau diese fundamental-kritischen Fußstapfen tritt, die sie als „Feldzug“ bezeichnete. Dieser geistige Spagat – Befürwortung von Kritik einerseits, Abwertung der Kritik zum „Feldzug“ andererseits – ist nur schwer zu erklären.

Zudem wirkt die Assoziation eines „Feldzuges“ deutlich verzerrend auf das, was sich unter dem Dach kritischer Ökonom(inn)en versammelt. Wer sich ernsthaft mit diesen Positionen auseinandergesetzt hat, darf zwar feststellen, dass auch viele Alternative ihre Betätigung als „Feldzug“ gegen „den Mainstream“ empfinden. Dies aber weit weniger freiwillig, als der Vorwurf eines „Feldzuges“ im ersten Augenblick nahe legt. Außerdem ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit alternativen Ansätzen kein Selbstzweck, der im „Feldzug“ besteht. Zwar charakterisieren sich diverse Strömungen (Ökofeminismus, Evolutorische Ökonomik usw.) in wesentlichen Punkten als dem ökonomischen Mainstream gegenüber kritisch eingestellt, doch wird die „Kritik als Selbstzweck“ in alternativen Kreisen durchaus kritisiert. Wenn Wolfram Elsner auf der Tagung „Krise des Kapitalismus und die Zukunft der Wirtschaftswissenschaft“ meinte „Be heterodox. Be good with it. Just do it. And be professional.“, lässt sich das in diesem Kontext als Aufforderung verstehen, aus dem Dunstkreis der „Kritik“ herauszutreten.

Wie gerechtfertigt ist es vor diesem Hintergrund, das Entwickeln alternativer Ansätze fast schon als „unmöglich“ - i. S. von "unerhört" - darzustellen, in dem solche Bestrebungen gleich als „Feldzuzug gegen den Mainstream“ bezeichnet werden?

Mit Blick auf die von mir besuchten heterodoxen Tagungen dieses Jahres möchte ich mir noch die Anmerkung erlauben, dass die dort Teilnehmenden auf Augenhöhe ins Gespräch kamen: Vor allem auf der Kasseler Tagung „Krise des Kapitalismus und die Zukunft der Wirtschaftswissenschaft“ konnten Studierende wie Wissenschaftler(inn)en (mit unterschiedlichem Status) auf Augenhöhe Fragen stellen, kritisieren und streiten. Streiten bedeutet, die kuschelige Atmosphäre der Harmonie mit fundamentalen Fragen zu brechen, sich aber beim Kaffee danach sachlich und mit Respekt vor der anderen Person weiter unterhalt und streiten zu können.

Zum Abschluss: Die Entscheidung der Leitung des StudentenKreises ist zu akzeptieren. Sie wird aber den eigenen Ansprüchen, dem wissenschaftlichen Streit und dem Pluralismus nicht gerecht und nimmt den Studierenden die Möglichkeit, Wissenschaft zu (er-) leben.

An die frustrierten Studierenden gerichtet sei angemerkt, dass es glücklicherweise Alternativen gibt: Im Blog des StudentenKreises wurde das Forschungsseminar der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät erwähnt. Und der Verein Engagierte Wissenschaft e. V. (kurz: EnWi) bietet u. a. Diskurswerkstätten an. Ähnliches ist sicherlich auch in Eigenregie aufzuziehen. Es gibt also Möglichkeiten, sich in einem pluralistischen, d. h. offenen, und kritischen Diskurskreis zu organisieren.

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