Donnerstag, 29. November 2012

Sparpolitik und Armut

Am 27.11.2012 war in der Frankfurter Rundschau zu lesen, dass die OECD eine gerechte Sparpolitik fordert: "Einschnitte bei Sozialleistungen oder höhere Verbrauchssteuern könnten die Ungleichheit vergrößern" heißt es dort.

Dazu passen gleich zwei Sachverhalte. Erstens die offizielle Darstellung des Armuts- und Reichtumsberichtes der Bundesregierung, von der die Süddeutsche Zeitung schreibt, die Bundesregierung hätte den entsprechenden Bericht "bewusst geschönt". Der kritische Unterton, z. B. zur Lohnentwicklung, ist nun gänzlich einer positiven Sichtweise bzw. Umdeutung gewichen: Wurde also anfangs auf die Lohnspreizung hingewiesen und darauf, dass diese als ungerecht empfunden werde, findet sich in der Endfassung die Aussage, dass sinkende Reallöhne ein "Ausdruck struktureller Verbesserung" sind. Gänzlich gestrichen wurde der Hinweis, dass 2010 etwas mehr als vier Millionen Menschen für unter sieben Euro (Brutto) pro Stunde arbeiten gingen.

Der zweite Sachverhalt betrifft die Dokumentation "Gemachte Armut", die sich derzeit in der Mediathek von ARTE noch abrufen lässt und die in einen entsprechenden Themenabend "Armut" einreiht. Ich will jetzt nicht aufdringlich Eigenwerbung machen, mir aber trotzdem den etwas eigennützigen Hinweis erlauben, dass dort viele Punkte diskutiert wurden, die sich u. a. in meinem Buch zum Subsistenzrecht (als Moralprinzip) nachlesen lassen: Zum Beispiel die ambivalente Rolle der Tafeln (Stichwort: Vertafelung der Gesellschaft) und die Frage der ethischen Legitimität von Hartz IV.

Diese Dokumentation machte zwar deutlich, dass in Europa erhebliche Unterschiede in den Sozialsystemen existieren. Ich hätte mir auch gewünscht, dass das Bild etwas breiter eingefangen wird und sich nicht auf die BRD, Spanien und Frankreich konzentrierte. Trotzdem illustrierte "Gemachte Armut" sehr gut, dass die Armut in Europa vor allem mit der Stigmatisierung der Hilfsbedürftigen einhergeht, sei es mit Blick auf die Wohnsituation oder auch auf die Schulsituation. Dieser Blickwinkel hatte aus meiner Sicht den angenehmen Nebeneffekt, dass die durchaus unterschiedliche Lebenssituation der einzelnen Personen, die vorgestellt wurden, nicht dazu einlud, die Armut in Deutschland mit der Armut z. B. in Spanien zu relativieren: Die geringen Zukunftsperspektiven, die Stigmatisierung der Betroffenen, der gesellschaftliche Ausschluss usw., das sind alles Erfahrungen, durch die sich Armut in ganz Europa charakterisiert.

In jedem Fall eine sehenswerte Dokumentation, deren Blick auf die Kinderarmut und unseren Umgang mit dem sozialen Rand für eine gehörige Portion Ernüchterung sorgen wird: "Gemachte Armut" (La fabrique de pauvres) von Lourdes Picareta.

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